„Dachten, die Generation ist viel, viel weiter“ Gewaltbereitschaft junger Männern schockiert


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Von: Dominik Stallein

Häusliche Gewalt
Gewalt in der Partnerschaft ist ein Dauer-Problem. Eine Umfrage zu dem Thema sorgte zuletzt für viel Wirbel.  © Maurizio Gambarini

Das Frauenhaus ist fast immer voll belegt. Opferhilfeorganisationen beschäftigen sich viel mit Opfern häuslicher Gewalt. Die Suche nach Lösungen ist schwierig.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Es ist ein erschütterndes Zeugnis: Eine Umfrage bescheinigt vielen jungen Männern nicht nur ein veraltetes Rollenbild, sondern obendrein eine deutlich größere Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen, als man annehmen würde: 33 Prozent der insgesamt 1000 männlichen Teilnehmer zwischen 18 und 35 Jahren haben in der Befragung der Organisation „Plan International“ angegeben, dass es akzeptabel sei, wenn es in einem Streit mit der Partnerin zu Gewalt kommt. Mehr als ein Drittel der befragten Männer gab zudem an, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich werden oder wurden, um ihnen Respekt einzuflößen.

„Dachten, diese Generation ist viel, viel weiter“: Gewaltbereitschaft junger Männer schockiert

Zwar gab es Kritik an der der Methodik und große Zweifel an der Repräsentativität der Umfrage. Trotzdem sorgten die Ergebnisse in ganz Deutschland für mächtig Wirbel. Auch im Verein „Frauen helfen Frauen“ aus Wolfratshausen, der das Frauenhaus betreibt, beschäftigt diese Umfrage die Ehrenamtlichen. „Die Zahlen haben uns nicht überrascht, leider“, sagt die Vorsitzende Nicoline Pfeiffer. Eine – Methodik der Umfrage hin oder her – so große Zahl sei dennoch „schockierend“.

Im Alltagsgeschäft des Vereins macht sich die Gewaltbereitschaft von Männern gegenüber ihren Partnerinnen ständig bemerkbar. „Eigentlich ist das Frauenhaus immer voll“, sagt Pfeiffer. Es habe im vergangenen Jahr „viele, viele Anfragen“ gegeben, bei denen ihr Verein nicht helfen konnte – schlicht deshalb, weil der sichere, gewaltfreie Unterschlupf ständig voll sei. Pfeiffer sind mehrere Fälle bekannt, in denen einer Frau kein Platz vermittelt werden konnte, „obwohl sie in ganz Deutschland gesucht hat“.

Frauenhaus dauervoll, Opferhilfe-Organisation am Anschlag: Häusliche Gewalt ist allgegenwärtig

Opfer von häuslicher Gewalt machen den Großteil der Arbeit der Opferhilfevereinigung „Weißer Ring“ aus. Auf dem Papier kümmern sich die Ehrenamtlichen um Opfer diverser Verbrechen, „aber gut über 50 Prozent unserer Arbeit dreht sich um das Thema häusliche Gewalt“, sagt die Vorsitzende Dr. Helgard van Hüllen. Die Zahl der Fälle, mit denen sich Opferhilfeorganisationen beschäftigen, steigt stetig. Das liegt laut van Hüllen auch daran, dass häusliche und sexualisierte Gewalt „viel stärker ins Bewusstsein“ gerückt ist. „Auch die Bereitschaft der Frauen und Männer etwas gegen die Gewalt zu tun, ist größer geworden“. Sie führt das darauf zurück, dass es Initiativen und Vorbilder gebe: „Die Opfer fühlen sich nicht alleine.“

Weißer Ring wünscht sich Präventionsprogramme

Trotzdem sieht van Hüllen noch viel Nachholbedarf. „Es bräuchte mehr Präventionsprogramme“. Auch mehr männliche Lehrkräfte für Grundschulen könnten helfen: „Viele Buben haben vielleicht zu Hause kein gutes Rollenverhältnis erlebt – männliche Vorbilder könnten ein anderes, besseres Bild vermitteln“, erklärt van Hüllen.

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Die Gleichstellungsbeauftragte des Landratsamts, Felicitas Wolf, sieht es ähnlich. „Wir haben viel über das neue Rollenverständnis der Frauen gesprochen“, sagt sie. Das sei wichtig – aber auch die männliche Rolle müsse ausreichend besprochen werden, „damit es am Schluss tatsächlich gemeinsam funktioniert und gleichberechtigt zugeht“. Was Wolf an der Umfrage besonders schockiert hat: „Es geht um eine Generation, von der wir eigentlich dachten, dass sie viel, viel weiter ist.“

Gleichstellung „in der akademischen Theorie revolutioniert“ – aber in der Praxis hapert‘s

Die Gleichstellungsbeauftragte fürchtet, dass die Theorie fortgeschrittener ist als die Praxis: „In der akademischen Theorie wurden die Geschlechterrollen revolutioniert, aber wir müssen das auch leben. Sonst geht es immer so weiter wie bisher.“ Die Zahlen der Umfrage – neben dem Thema Gewalt ging es beispielsweise auch um die Rollenverteilung in Beziehungen – zeigen für Wolf deutlich auf: „Wir haben überall Nachholbedarf – und es geht dabei immer wieder um das Rollenbild von Männern und Frauen.“

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Die Umfrage von „Plan International“ wurde kurz nach der Veröffentlichung scharf kritisiert. Wolf sieht darin „einen Reflex“. Man müsse sich natürlich genau ansehen, wer befragt wurde und unter welchen Bedingungen. „Aber es gab so oder so ein Ergebnis, über das man reden muss, anstatt es nur deshalb wegzudiskutieren, weil man gehofft hat, schon viel weiter zu sein.“



Quellenlink https://www.tz.de/muenchen/region/dachten-die-generation-ist-viel-viel-weiter-gewaltbereitschaft-junger-maennern-schockiert-92392379.html