Beratungsstelle: Raus aus der Gewaltspirale – Landkreis München


Warum hat Steffi nicht einfach ihre Sachen gepackt und ist gegangen? Ihr Mann hat sie beleidigt, erniedrigt und beschuldigt, hat ihre Kontakte nach außen kontrolliert. Dann hat er mit Selbstmord gedroht oder damit, ihr das Kind wegzunehmen, sollte sie ihn verlassen. Irgendwann hat er sie auch geschlagen und sich anschließend dafür entschuldigt. Steffi findet noch immer: Im Innern ist er ein guter Mensch. Sie ist emotional erschöpft, verängstigt und isoliert. Sie befindet sich in einer Gewaltspirale und schämt sich. Sie und ihr Kind sind in Gefahr.

Steffi ist eine fiktive Person aus einem Video der neuen virtuellen und interaktiven Ausstellung zur häuslichen Gewalt des Landratsamts München. Diese wurde anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Interventionsstelle (ILM) konzipiert. Denn vielen geht es so wie Steffi, fast jede dritte Frau erlebt an irgendeinem Punkt in ihrem Leben Gewalt, heißt es in dem Informationsfilm. Betroffen sei jede Altersstufe, Nationalität, Bildungsstufe, Kultur und Religion. Viele merkten einfach nicht mal, dass sie Opfer von Gewalt seien, ist man bei der Interventionsstelle im Landratsamt überzeugt. Seit der Gründung der Beratung bekamen dort bei inzwischen sieben Mitarbeiterinnen mehr als 2180 Frauen in über 15 800 Stunden Unterstützung, Rat und Trost.

Die ILM macht immer wieder darauf aufmerksam, dass häusliche Gewalt sowohl zu physischen Verletzungen, also etwa Prellungen, Organrisse, Knochenbrüche führt, aber auch psychische Verletzungen wie Schlaf- und Essstörungen, zerstörtes Selbstwertgefühl hinterlassen und Ursache für Herzprobleme, Magenprobleme, Depression oder Fehlgeburten sein kann. Häusliche Gewalt hat auch immer belastende Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche und birgt die Gefahr nachhaltiger Schäden.

Bereits 2010 hatte der Kreistag beschlossen, eine Fachstelle zur Hilfe und Prävention bei häuslicher Gewalt zu schaffen. 2012 nahmen zwei Mitarbeiterinnen die Arbeit auf, räumlich und konzeptionell eng angelehnt an die Eltern- und Jugendberatungsstelle des Landratsamts. Noch im selben Jahr schloss die ILM eine Kooperationsvereinbarung mit der Münchner Polizei: Die ILM wurde Partner des Münchner Unterstützungsmodell gegen häusliche Gewalt (MUM) und übernimmt seither für den Landkreis München die proaktive Beratung Betroffener nach Polizeieinsätzen aufgrund häuslicher Gewalt.

Einen Runden Tisch zu dieser Problematik gibt es bereits seit 2007. Das Gremium tagt zweimal jährlich und bringt Fachkräfte aus Politik, Gesundheitswesen, Polizei, Justiz, Jugendhilfe und Opferberatungseinrichtungen zusammen. Die Treffen ermöglichen einen intensiven fachlichen Austausch, schaffen und stabilisieren entsprechende Netzwerke und befördern die Entstehung neuer Kooperationen. 2012 übernahm die ILM die Leitung des Runden Tisches. In den darauffolgenden Jahren starteten Projekte zur Beratung von Kindern, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sowie das Modellprojekt Männerberatung im Landkreis München (MILK), eine Täterberatungsstelle. Als 2018 die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch in Deutschland in Kraft trat, hatte der Landkreis laut eigenen Angaben mit der Interventionsstelle ILM, MILK und einer eigenen Kinder- und Jugendfachberatung bereits die wesentlichen Forderungen der Konvention erfüllt.

Gerade erst hat die Männerberatung MILK im Sozialausschuss des Landkreises ihren neuesten Jahresbericht vorgelegt, aus dem hervorgeht: Die Fälle nehmen zu und sie werden komplexer. Im Jahr 2021 suchten 62 Männer, die Gewalt gegenüber ehemaligen oder aktuellen Partnerinnen ausgeübt haben, die Beratungsstelle auf. Knapp ein Viertel meldete sich selbst, genauso viele wurden durch Familiengerichte geschickt. Mit als Grund für den Anstieg sieht man in der Beratungsstelle die “volatile Welt und die wechselnden Partnerschaften, zum Teil auch Dreiecksverhältnisse”, hieß es in der Sitzung des Sozialausschusses. Das habe es vielleicht früher nicht so gegeben oder die Behörden hätten es nicht erfahren. In den zuletzt betroffenen Haushalten leben insgesamt 104 Kinder. Daher will man noch stärker präventiv an die Jugendarbeit herantreten.

Die virtuelle und interaktive Ausstellung zur häuslichen Gewalt und zur Interventionsstelle ist unter dem Link https://t1p.de/ILM-Raum eingerichtet.



Quellenlink https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/haeusliche-gewalt-beratungsstelle-ausstellung-interaktiv-virtuell-1.5688018