Bauern und Tierärzte im Landkreis Dachau in Sorge: „Verunsichert und beunruhigt“


Das neue Tierarzneimittelgesetz sorgt für große Aufregung bei Nutztierhaltern und Tierärzten. Aus mehreren Gründen.
Dachau – Befürchtet werden zeitraubende Bürokratie, und unterm Strich leide das Tierwohl darunter, kritisieren Simon Sedlmair, Kreisobmann des Bauernverbands, und Tierarzt Dr. Wolfgang Breitner. Was künftig zu kurz kommt, sei die Prävention, dass die Tiere erst gar nicht krank werden.
Zur Kontrolle kann das Veterinäramt einen weiteren Tierarzt bestimmen
Wenn in einem Milchviehbetrieb in einer Kälbchengruppe die Grippe ausbricht, muss der Tierarzt kommen. Nach einer Untersuchung entscheidet der Veterinär, welches Medikament er für richtig hält. Spritzt es den kranken Tieren, füllt den tierärztlichen Behandlungs- und Abgabebeleg aus. So war es zumindest bis Ende vergangenen Jahres. Nach dem neuen Tierarzneimittelgesetz hat der Tierarzt nun die Pflicht, diese Daten in staatlich überwachte Kontrolllisten einzutragen, sollte er den Tieren ein Antibiotikum verabreicht haben. Wenn das zu häufig der Fall ist und bestimmte bundesweite Kennzahlen überschreitet, muss der Tierhalter Maßnahmen ergreifen, die eine Verringerung der Behandlung mit Antibiotika zum Ziel haben. Das zuständige Veterinäramt wird aktiv – und kann zur Überwachung und Kontrolle einen weiteren Tierarzt hinzuziehen.
Seit 1. Januar ist die Änderung des Tierarzneimittelgesetzes in Kraft. Ziel ist es laut Landwirtschaftsministerium, den Einsatz von Antibiotika in landwirtschaftlichen Betrieben besser zu erfassen und dauerhaft zu senken. Tierärzte üben scharfe Kritik. „Das Gesetz sieht immense Dokumentations- und Meldepflichten für Tierärzte vor, die weit über die EU-Vorgaben hinausgehen“, klagt die Bayerische Landestierärztekammer. Nutztierhalter befürchten Kontrollen durch das Veterinäramt, höhere Kosten – und eine Gefahr für Tierschutz und Tierwohl.
Bauern und Tierärzte im Landkreis Dachau in Sorge: „Verunsichert und beunruhigt“
„Ich merke, dass die Bauern sehr verunsichert und beunruhigt sind“, berichtet Simon Sedlmair, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes im Landkreis Dachau. Ihm selbst geht es nicht anders: Sedlmair führt einen modernen Milchviehbetrieb mit 270 Plätzen, mit Laufstall und Außenbereich, Liege-Matratzen, Bürsten – das Tierwohl im Fokus. Mit der Änderung des Tierarzneimittelgesetzes befürchtet Sedlmair, dass manchen Tieren das richtige Medikament vorenthalten wird – zum einen, weil die Tierhalter eine Eintragung in die Kontrolllisten vermeiden wollen, zum anderen, weil Tierärzte nun lieber kein Antibiotikum verabreichen wollen, um die Bürokratie zu vermeiden – obwohl es vielleicht das richtige Medikament für das kranke Tier wäre. Die Folge: Das Tier leide. „Das Tierwohl steht nicht mehr im Vordergrund“, sagt Sedlmair.
Ludwig Schmidt führt einen Betrieb in Tandern, er hat 85 Milchkühe mit Nachzucht. Er bemerkt jetzt schon, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Tierarzt gestört ist. „Mein Tierarzt gibt keinen antibiotischen Trockensteller mehr.“ Trockenstellen bedeutet das Beenden der Laktation. In dieser Zeit kann sich das Euter der Kuh erholen, allerdings birgt die Zeit ein großes Risiko von Infektionen. Durch die Gabe von Antibiotika sollen Euter- und Tiergesundheit sichergestellt werden. „Für mich ist es jetzt ein Lottospiel, ob das Trockenstellen funktioniert oder nicht“, sagt Schmidt.
Bayern: Tierarzt fürchtet um Zukunft seines Berufsstandes
„Das Gesetz ist ein Irrweg!“ Dr. Wolfgang Breitner fürchtet schlichtweg um die Zukunft seines Berufsstandes. Er führt eine Rinderpraxis in Unterschweinbach, nahe Pfaffenhofen an der Glonn knapp hinter der Landkreisgrenze. Er und seine fünf Kollegen betreuen über 200 Betriebe in den umliegenden Landkreisen. Mit dem neuen Gesetz komme ein „Bürokratiemonster“ auf die Tierärzte zu, das ihnen wertvolle Zeit stiehlt. „Ich würde als Tierarzt lieber tierärztlich arbeiten als buchhalterisch tätig zu sein“, sagt Breitner.
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Denn das beste Mittel, um den Antibiotika-Einsatz zu reduzieren, sei die Prävention: Bessere Standortbetreuung, Beratung zu Fütterung und Optimierung der Haltungsbedingungen, Melkhygiene – „so kann man Erkrankungen in Milchviehbetrieben frühzeitig erkennen und vermeiden!“ Aber dafür bliebe keine Zeit mehr. Ganz zu schweigen davon, dass der Nachwuchs von der Dokumentationspflicht abgeschreckt werde – Breitner bietet in seiner Praxis die Ausbildung zum Fachtierarzt an und stellt Praktikumsplätze für Tiermedizinstudenten zur Verfügung.
Breitner ist der Meinung, dass der Staat mit dem neuen Gesetz zu sehr in das Handwerk des Tierarztes eingreift – zumal die in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotikamengen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 60 Prozent reduziert wurden. In seinen Augen sei die Gesetzesänderung „nicht mit Verstand, sondern mit Ideologie“ gemacht worden.
„Ein Tierarzt kann schon selbst entscheiden, ob er Antibiotika geben muss oder nicht.“ Im Auge habe er dabei stets das Tierwohl und den Tierschutz. So könne es tierfreundlicher sein, ein Kälbchen nur einmal zu spritzen mit einem Präparat, das länger wirkt – anstatt mehrmals die Woche mit einem anderen Antibiotikum.
Die Krux mit dem Maßnahmenplan
Genauso wie in der Humanmedizin könne man es auch in der Tiermedizin nicht ganz verhindern, bei bestimmten Erkrankungen auf Antibiotika zurückzugreifen. Tierhalter müssen gemeinsam mit dem Tierarzt ab einer bestimmten Menge verabreichter Antibiotika einen Maßnahmenplan erstellen, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Dieser Plan muss dem Veterinäramt vorgelegt werden, das einen weiteren Tierarzt zur Kontrolle der Maßnahmen hinzuziehen kann. Ein weiterer Punkt, der Tierarzt Breitner erzürnt: „Ich sehe den Fokus meiner Tätigkeit nicht in der Überwachung meiner Kollegen. Die durch Nachwuchsmangel in der Nutztierpraxis sowieso angespannte Situation wird durch derartige Zusatzaufgaben verschärft.“
Verständnis für höhere Gebühren der Tierärzte
Dass die Tierärzte ab sofort einen höheren Bürokratieaufwand haben, schlägt sich natürlich in den Kosten nieder: Tierarzt Breitner erwägt, eine zusätzliche Kraft einzustellen, die die Daten in die Kontrolllisten eingibt. Die Kosten dafür würden letztlich auf die Tierhalter umgelegt werden – die nach der neuen Gebührenordnung für Tierärzte seit Ende November ohnehin für jede Behandlung mehr bezahlen müssen. „Aber wir haben Verständnis, dass die Tierärzte auch höhere Kosten haben“, sagt der Bauernobmann. Auch Tierhalter Schmidt hat Verständnis, „aber ich hoffe auch auf Verständnis der Verbraucher, dass die Milch teurer wird“. Veterinär Breitner ist es wichtig, dass die Preise für die Tierhalter fair bleiben. „Denn die Gebührenordnung ist so gestaltet, dass man die Preise auch fair gestalten kann.“
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